Die Drachenbande - Die neue Buchreihe von florian und Peter Freund!
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Leseprobe aus “Laura und der kuss des schwarzen Dämons”:

Prolog

Hell’s Gate

Das Tor zur Hölle war kaum zwei Stunden geöffnet, als das Unwetter wie aus dem Nichts über Berlin hereinbrach. Während des ganzen Abends war es wolkenlos gewesen. Nicht die kleinste Schleierwolke hatte die Sicht auf den samtschwarzen, von unzähligen Sternen gesprenkelten Himmel getrübt, und kein noch so laues Lüftchen hatte den verheerenden Sturm angekündigt, der um Mitternacht losheulen sollte. Es war nur viel zu warm für die Jahreszeit. Seit Tagen herrschte T-Shirt-Wetter, dabei ging es erst auf Ende April zu. Die Straßenbäume ächzten bereits unter der Last ihrer Blätter. Der süßliche Duft reifer Blüten füllte die Luft, und kaum einer der unzähligen Nachtschwärmer, die trotz der späten Stunde noch immer im Straßengewirr von Berlin Mitte unterwegs waren, nahm den unterschwelligen Hauch des Verderbens wahr, der darin mitwehte – wie eine versteckte Warnung an alle, sich nicht vom äußeren Anschein der Dinge blenden zu lassen.

Mit einem Mal, es war genau fünf Minuten vor zwölf, kam ein Wind auf, der rasch stärker wurde. Der Himmel verfinsterte sich schlagartig, und wo kurz zuvor noch die Sterne geleuchtet hatten, ballten sich nun dickbauchige schwarze Wolken, die von einer schwefelgelben Aura umgeben schienen und sich immer tiefer auf die Häuser der Stadt herabsenkten. Dann brach der Sturm los. Er fegte so wild durch die breiten Boulevards und engen Seitenstraßen, dass die Bäume sich unter seiner Wucht krümmten. Er rüttelte an Straßenschildern, Verkehrszeichen und Dachziegeln, an den Gerüsten der Rohbauten und an den Planen, die den Blick auf die sich an allen Ecken in den Boden fressenden Baugruben versperrten. Fensterläden schepperten, Rollos klapperten und Markisen flatterten, während die immer stärker werdenden Böen um die Häuser jagten. Zunächst trieb der Wind nur Staub, Schmutz und Müll vor sich her, aber schließlich packte er auch Reklametafeln, Caféstühle und sogar schwere Sonnenschirme und wirbelte sie meterweit durch die Luft. Als mit einem Mal auch noch die Wolken platzten und ihre Last wie berstende Wasserbomben über der City abluden, flüchteten die Menschen panikartig von den Straßen und Bürgersteigen und suchten Schutz in Hauseingängen, in den Zu- und Abgängen der U- und S-Bahn und in den unzähligen Lokalen am Weg. Im Tor zur Hölle aber war vom Wüten der Elemente nichts zu spüren.

„Hell’s Gate“, wie der richtige Name des Clubs lautete, war proppenvoll. Dabei hatte der Club erst vor wenigen Wochen geöffnet. Etwas versteckt in einer schmalen Seitenstraße gelegen, hatte er sich innerhalb kurzer Zeit vom Insider-Geheimtipp zum angesagten Szene-Treff entwickelt. Was sich dank Internet und sozialer Netzwerke blitzschnell bei den Touristen herumgesprochen hatte, die in immer größer werdenden Scharen in die Hauptstadt einfielen: bei den Backpackern und Binge-Trinkern genauso wie in eher bürgerlichen und besser betuchten Kreisen. Der Zugang zum Höllentor musste deshalb inzwischen auch von muskelbepackten Türstehern geregelt werden. Deren Auswahlkriterien waren ebenso undurchschaubar wie willkürlich, was nicht nur einen zusätzlichen Reiz für potenzielle Besucher darstellte, sondern auch für eine ziemlich schräge Gästemischung sorgte. Geschniegelte Anzugtypen waren im „Hell’s Gate“ ebenso zu finden wie bunt frisierte Immernoch-Punks, flippige Raver, dickbauchige Leder-Rocker, schwarz gekleidete Grufties, coole Emos und was die wilde Berliner Szene sonst noch so an Exoten hergab. Der Qualm von Zigaretten und härterem Stoff – dabei war Rauchen eigentlich strengstens verboten –, der Geruch verschwitzter Leiber und der Hauch von tausendundeinem Duftwässerchen waberten durch die Luft, die so stickig und heiß war wie in einer Dampfsauna kurz nach dem Aufguss.

Doch das schien niemanden zu stören. Die Besucher standen so eng zusammengequetscht wie die Fan-Meute vor der Bühne eines Rock-Konzerts. Das Gewirr ihrer aufgeregten Stimmen wurde nur noch von den hämmernden Beats der Musik übertönt, die aus fetten Boxen durch den spärlich erhellten Raum wummerten. Nur an der Bar in der hintersten Ecke des Clubs war es einen Tick leiser, sodass dort zumindest ansatzweise Gespräche möglich waren.

Fast genau in der Mitte des Tresens saßen eine grell geschminkte Blondine in einem engen dunkelgrünen Kleid – falls man das spärliche Stück Stoff, das ihre Körperformen bestens zur Geltung brachte, überhaupt so nennen konnte - und ein geschniegelter Dressman-Typ mit gegeltem Haar. Die in seinen Haaren steckende Sonnenbrille stammte vom gleichen In-Designer, der auch seinen sichtbar schweineteuren Anzug entworfen hatte. Die beiden waren offensichtlich nicht auf Konversation aus, schienen sich aber auch ohne viele Worte zu verstehen. Vor sich zwei leere Cocktail-Gläser, hingen sie eng umschlungen auf ihren Barhockern und knutschten völlig ungeniert. Sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie keinen einzigen Blick für das wilde Treiben um sich herum übrig hatten. Weder für die schwitzende Masse der anderen Besucher, noch für den glatzköpfigen Barmann hinter dem Tresen, der mit stoischer Miene Gläser polierte. Und schon gar nicht für die seltsame Uhr inmitten der Flaschenbatterien in dem raumhohen Regal an der Spiegelwand hinter ihm.

Es war eine kleine Stand-Uhr mit weißem Zifferblatt und römischen Zahlen, insgesamt höchstens zehn Zentimeter hoch und mit offenem Gehäuse, sodass das unablässig zuckende Feder- und Räderwerk in seinem Inneren deutlich zu sehen war. Rechts neben dem Gehäuse stand ein mit einem langen Kapuzenmantel bekleidetes Skelett – Gevatter Tod offensichtlich, auch wenn er statt der üblichen Sense einen langstieligen Hammer in den bleichen Knochenhänden hielt. Als die Zeiger nun auf die zwölf rückten und die Mitternacht anzeigten, kam Bewegung in das Gerippe: Der Knochenmann holte weit aus und schlug mit dem Klöppel ruckartig gegen die kleine Glocke, die auf der Uhr thronte. Obwohl der Schlag in dem infernalischen Lärm nicht zu hören war, zuckte die Blonde zusammen. Sie löste sich aus der Umklammerung ihres Nachbarn, drehte den Kopf zum Regal und starrte verwundert auf die seltsame Uhr. Dann ging ein Leuchten über ihr Gesicht, auf dem die wilde Knutscherei Schmierspuren im dicken Make-up hinterlassen hatte. „Cool“, hauchte sie.

Der Typ – er ähnelte den austauschbaren Gesichtsverleihern in billigen Versandhauskatalogen - beugte sich näher zu ihr. „Was hast du gesagt?“, schrie er ihr ins Ohr.

Die Blonde deutete auf das Skelett, das mit tödlicher Präzision weiterhin den Hammer schwang und jede verrinnende Sekunde ankündigte: Kling! Kling! Kling! „Ziemlich cool. Findest du nicht auch?“

„Wer’s mag.“ Ein gelangweiltes Grinsen legte sich auf das solariumgebräunte Gesicht, während der Typ sich zum Barkeeper umdrehte und ihn mit einer nachlässigen Geste zu sich heranwinkte.

Der Glatzkopf hob wortlos die gepiercten Augenbrauen.

„Curly? Zwei Midnight-Special für uns“, orderte der Dressman, den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand nach oben gereckt, als wäre der Mann hinter dem Tresen nicht nur kahl, sondern auch taub.

Während der Barmann nickte, sich umdrehte und zielsicher drei Flaschen aus dem Regal fischte, zog der Schönling sein Jackett aus. Darunter trug er nur noch ein lila Muscle-Shirt, das seine prächtig geformten Oberarme zur Besichtigung frei gab.

Die Blonde ließ einen wohl gefälligen Blick über seinen Oberkörper wandern und sah ihn dann aus schmalen Augen an. „Midnight-Special?“ Ihr blutroter Lippenstift war hoffnungslos verschmiert. „Was ist das denn?“

„Wirst du schon sehen.“ Der Typ zwinkerte. „Oder besser gesagt: schmecken.“

„Da bin ich mal gespannt.

Der Midnight-Special war giftgrün. Als Curly – die Stammgäste nannten den Barkeeper nur bei seinem Spitznamen - die beiden langstieligen Kelchgläser mit den Drinks vor sie auf den Tresen stellte, rümpfte die Blondine die Nase. „Iiiih“, sagte sie angewidert.

„Schmecken viel besser, als sie aussehen“, versicherte der Dressman und strich sich wie beiläufig über den Kopf, um den Sitz seiner Gelfrisur samt Sonnenbrille zu überprüfen. „Und schützen zudem vor bösen Geistern.“

„Tatsächlich?“ Die Blonde kicherte belustigt und blies sich den bis auf die Augenbrauen herabhängenden Pony aus ihrer Stirn. „Worauf warten wir dann noch?“ Sie ergriff ihr Glas – ihr Nagellack war genauso blutrot wie ihr Lippenstift -, stieß mit dem Typen an - „Cheers!“ - und leerte den Drink mit einem Zug. „Wow!“ Ihre mit schwarzem Kajal umrandeten Augen weiteten sich. „Das Zeug schmeckt ja so scharf, dass es die bösen Geister erst aufweckt!“

„Soll mir auch recht sein.“ Wieder grinste der Dressman, streckte die Hand aus und strich ihr sacht über Wange und Hals, um dann wie zufällig ihre Brust zu streifen.

Curly zog eine Grimasse. Jeden Abend die gleiche Anmache, dachte er seufzend. So öde wie der Spruch, den er jetzt garantiert noch ablassen wird.

„Solange sie so umwerfend süß aussehen wie du“, sagte der Typ da auch schon wie aufs Stichwort.

„Schmeichler“, säuselte die Blondine, schlang ihren Arm um seinen Hals und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran. Dann presste sie ihm die Lippen auf den Mund und küsste ihn so gierig, als wollte sie ihm die Seele aus dem Leib saugen. 

Curly verzog angewidert das Gesicht. Er kannte den Typen, der fast jeden Abend im „Hell’s Gate“ auftauchte. Er war tatsächlich Dressman, wenn auch kaum beschäftigt, und hatte deshalb genügend Zeit, seinen Body im Fitness-Studio zu formen und sich ausgiebig um sein äußeres Erscheinungsbild zu kümmern. Mit durchaus ansehnlichem Erfolg: Die Mehrzahl der Mädels schmachtete ihn an, sodass er den Club fast jeden Abend mit einer anderen Braut im Arm verließ. Kein Wunder also, dass er sich für den heißesten Aufreißer von ganz Berlin hielt.

Die Blonde, die seit gut zwei Stunden an ihm herumbaggerte, schien neu hier zu sein – jedenfalls hatte Curly sie nie zuvor im „Hell’s Gate“ gesehen. Sie verbreitete eine aufdringliche schwülstig-herbe Parfümwolke und war alles andere als ein unbedarftes Küken. Im Gegenteil: Eine Braut ihres Kalibers war selbst dem Szene gestählten Curly selten untergekommen. Sie hatte etwas, das ihm instinktiv Respekt einflößte, auch wenn er nicht recht wusste, was das war.

Das Klingeln eines Handys, wie aus weiter Ferne und kaum wahrnehmbar, beendete die intensive Mund-zu-Mund-Beatmung des Paars an der Bar abrupt. Die überraschende Störung schien dem Dressman gar nicht zu behagen. Er verzog das Gesicht und kniff ungehalten die nun ebenfalls rot verschmierten Lippen zusammen.

Die Blonde kümmerte das nicht im Geringsten. Sie zog ein SmartPhone aus ihrer Handtasche, wandte sich ab und drückte es ans Ohr. Ohne ihren Namen zu nennen, meldete sie sich mit einem kühlen „Ja?“. Dann lauschte sie angestrengt, die linke Hand fest ans andere Ohr gepresst, damit der Höllenlärm im Höllentor ihren Gesprächspartner nicht übertönte. Plötzlich leuchteten ihre Augen hell auf. „In der morgigen Ausgabe?“, fragte sie aufgeregt und nickte dann mehrmals mit dem Kopf, als wollte sie die Antwort des Anrufers damit bekräftigen. Schließlich beendete sie das Gespräch mit einem lapidaren „Danke für die Info“, ließ das Handy wieder in der Handtasche verschwinden und lächelte ihr Gegenüber an. „Gibt’s hier in der Nähe einen Zeitungsladen? Wo ich jetzt schon die Ausgabe von morgen kaufen kann?“

„Klar.“ Der Dressman grinste blasiert und deutete mit dem Daumen über die Schulter zur Eingangstür. „Draußen links und dann die Straße runter bis zum Ende. Von dort kannst du den Kiosk auf der gegenüber liegenden Seite der Hauptstraße schon sehen. Aber bloß keine Eile: Der Schuppen hat rund um die Uhr geöffnet.“

„Super! Führen die auch überregionale Zeitungen oder nur Lokalblätter?“

„Was glaubst du, wo du hier bist?“ Der Typ verzog großkotzig das Gesicht. „Das hier ist Berlin und kein popeliges Provinzkaff. Der Laden hat natürlich alle wichtigen überregionalen und internationalen Zeitungen im Angebot. Und ab Mitternacht findest du da in der Regel bereits die Ausgaben des nächsten Tages.“

„Sehr fortschrittlich.“ Der Blonden war nicht anzuhören, ob sie es ernst meinte oder sich nur lustig über ihn machte. Wieder griff sie in ihre Handtasche und holte einen Fünfzig-Euro-Schein daraus hervor. Sie legte ihn auf dem Tresen und nickte dem Barmann zu. „Danke, Curly. Der Rest ist für dich.“ Während Curly mit dem Zeigefinger an eine imaginäre Hutkrempe tippte und den Schein wortlos einstrich, rutschte die Blonde vom Barhocker, zuppelte das kurze Kleid zurecht, dessen Saum schon fast über ihr wohl geformtes Hinterteil gerutscht war, und lächelte den Dressman an. „Einen schönen Abend noch. Ciao!“ Damit drehte sie sich um und schickte sich an zu gehen.

Das Gesicht des Mannes entgleiste. Er war so überrascht, dass er für einen Augenblick wie versteinert da saß, bevor er seine Hand ausstreckte und die Blonde am Arm packte. „Hey!“ Er klang ungehalten, beinahe schon beleidigt. „Was soll das denn werden?“

„Wonach sieht’s denn aus?“ Ihre verschmierten Mundwinkel zuckten, sodass es fast den Anschein hatte, als würden sie bluten. „Ich gehe.“

Der Hormonspiegel des Schönlings war offensichtlich schon in solche Höhen gestiegen, dass ihm der gefährliche Unterton in ihrer Stimme entging. „Was soll der Scheiß? Erst heizt du mich an wie einen Hochofen und dann willst du dich einfach verziehen? Das kannst du mit mir nicht machen, verstanden?“

Die Blonde schien die Ruhe selbst. „Natürlich kann ich das, das siehst du doch“, erwiderte sie. „Und jetzt lass endlich deine Finger von mir.“ Mit eiskaltem Blick starrte sie ihn an und blinzelte kaum merklich.

Der Typ zuckte erschrocken zusammen und ließ sie ruckartig los, als habe er einen starken Stromschlag bekommen. Noch ehe er die Fassung wieder erlangte, drehte die Blonde sich um und verschwand in der Menge der dicht gedrängten Gäste. Nur Sekunden später war keine Spur mehr von ihr zu sehen.

Der Schönling schluckte. Sein Solarium-Gesicht verfinsterte sich. „Na, warte“, knurrte er. „So haben wir beide nicht gewettet.“ Er sprang auf, griff sich das Jackett und wollte ihr hinterher eilen.

Doch Curly hielt ihn zurück. „Hey!“, rief er ihm nach. „Du hast deine Drinks noch nicht bezahlt!“

„Aber ...“ Der Typ drehte sich um und sah den Barkeeper verwundert an. „Sie hat dir doch fünfzig Euro-“

„Lässt du dich jetzt schon von deinen Chicks aushalten?“, unterbrach Curly ihn spöttisch. „Die Lady hat nur ihre Drinks bezahlt. Der Rest war für mich, wie du sicher gehört hast. Also mach schon!“

„Mann!“ Der Dressman zischte frustriert durch die zusammengebissenen Zähne. Aber dann ging er doch zum Tresen zurück und holte sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche.

Als die Blonde aus dem Höllentor trat, hatte sie den Typen aus der Bar bereits vergessen. Es gab Wichtigeres zu bedenken. Und die große Aufgabe ging nun einmal vor.

Alles andere war völlig nebensächlich.

Die Frau hatte die Tür zum Club kaum hinter sich geschlossen, als der infernalische Krach jäh verstummte. Die plötzliche Stille verursachte ein dumpfes Rauschen in ihren Ohren. Oder war das nur der Nachhall des Höllenlärms? Aus den Augenwinkeln sah sie, dass sich der durch das Unwetter beschäftigungslos gewordene Türsteher in den geschützten Eingang zurückgezogen hatte. Er nickte ihr zum Abschied kurz zu. Eher beiläufig erwiderte sie seinen Gruß und trat dann hinaus auf die regennasse Straße.

Ein eisiger Wind fegte ihr ins Gesicht. Er kräuselte die zahllosen Pfützen, die die Schlaglöcher im löchrigen Asphalt gefüllt hatten. Das sich darauf spiegelnde Licht der Straßenlampen veränderte ständig seine Formen. Der Regen hatte zum Glück etwas nachgelassen und fiel jetzt nur in dünnen glitzernden Perlenschnüren vom Himmel. Doch selbst das reichte aus, um die Frau innerhalb kürzester Zeit bis auf die Haut zu durchnässen. Beim Verlassen ihrer Wohnung hatte nicht eine Wolke am Himmel gestanden. Der Club lag nicht allzu weit von ihrem Zuhause entfernt, und so wäre ihr nicht einmal im Traum in den Sinn gekommen, einen Mantel oder gar einen Regenschirm mitzunehmen. Was sich nun bitter rächte: Das Kleid klebte wie ein nasses Tuch an ihrer Haut und die Kälte kroch an ihren Beinen hoch.

Verdammt!

Um sich ein bisschen zu wärmen, schlang sie die Arme um den Oberkörper und wandte sich nach links - genau wie der Dressman ihr geraten hatte. Dann beschleunigte sie ihre Schritte. Das Klacken ihrer Stilettos hallte von den heruntergekommenen Häuserfassaden der engen Straße wider. Weit und breit war keine lebende Seele zu sehen. Nur die überquellenden Mülltonnen, die zum Leeren am nächsten Morgen bereits aus den Hinterhöfen heraus gestellt worden waren, säumten ihren Weg. Die Straßenlampen schwankten im Wind, ihre Lichtkegel geisterten unruhig über den nassen Asphalt. Die Blonde hatte vielleicht dreißig Meter zurückgelegt, als sie am entfernten Ende der Straße ein rötliches Schimmern bemerkte. Ein schwaches Licht in dunkler Nacht – es war ganz offensichtlich das Neonschild des Zeitungsladens.

Noch im gleichen Moment hörte sie Schritte hinter sich, die rasch näher kamen. Sie wusste sofort, um wen es sich handelte. Dieser aufdringliche Idiot, dachte sie und seufzte still in sich hinein. Aber gut, er wollte es nicht anders. Wer nicht hören will, muss fühlen! Langsam drehte sie sich um und wartete, bis der Dressman heran war. „Was willst du?“, fragte sie kühl.

Der Mann hatte ihr Warten offensichtlich missverstanden, denn ein zufriedenes Lächeln erhellte sein Gesicht. „Dasselbe wie du“, antwortete er mit einem Blick, den er wahrscheinlich für verführerisch hielt. Er trat einen Schritt näher, sah ihr tief in die Augen und legte die Hand auf ihre Schulter.

„Finger weg!“, zischte sie wie eine tollwütige Katze, die eine letzte Warnung faucht. „Sofort!“

„Ach komm. Jetzt zier dich doch nicht länger.“ Unverwandt lächelnd, strich er ihr mit dem Handrücken über Wange und Hals. „Gehen wir zu mir oder zu dir?“

„Weder das eine noch das andere.“ Die Blonde presste ihre Lippen zusammen, bis sie so schmal waren wie blutige Striche. „Aber ich weiß, wohin du jetzt gehst. Nämlich zum Teufel!“ Damit hob sie die Hand und richtete den Zeigefinger auf ihn.

Augenblicklich wurde der Mann nach hinten geschleudert – wie eine Strohpuppe, die vom Sturm durch die Luft gewirbelt wird. Mit unbändiger Wucht krachte er gegen die Hauswand. Der Aufprall war so heftig, dass der Lärm seinen Schmerzensschrei übertönte. Mühsam und unter lautem Ächzen zog er sich an der Wand hoch. Als er sich umdrehte, klaffte eine Platzwunde auf seiner Stirn. Wie die Fäden eines roten Spinnennetzes liefen blutige Rinnsale über sein Gesicht. „Na, warte!“ Er starrte die Blonde hasserfüllt an. „Das wirst du mir büßen!“ Blitzschnell riss er sich das Jackett vom Leib, stieß sich von der Wand ab und stürzte auf sie zu.

Er hatte kaum zwei Schritte zurückgelegt, als ihre Arme erneut vorschnellten. Diesmal deutete sie mit beiden Zeigefingern auf den Angreifer, der daraufhin, wie von einem Katapult losgeschleudert, vom Boden abhob und im hohen Bogen durch die Luft wirbelte. Als er nach zwei raschen Überschlägen mit dem Rücken gegen den Peitschenmast der Straßenlampe krachte, brach seine Wirbelsäule mit einem weithin hörbaren Knacken. Noch bevor er auf dem Boden aufschlug und mit verrenkten Gliedern liegen blieb, war er bereits tot.

Die Blonde ging auf die Leiche zu und beugte sich über sie. „Warum konntest du auch nicht hören?“ Ihr verschmiertes Make-up verlieh ihr das Aussehen eines wütenden Clowns. „Ich habe doch gesagt, dass du deine Finger von mir lassen sollst.“ Dann richtete sie sich wieder auf und deutete mit einer sachten Handbewegung auf die Mülltonnen in der nahen Hofeinfahrt. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, rollte der leblose Körper über den Bürgersteig und donnerte dann scheppernd gegen die Abfallbehälter. „Sorry, aber du hast es nicht anders gewollt“, sagte sie und seufzte. Mit einem Ruck zog sie sich ihre Perücke vom Kopf und ließ sie in der Handtasche verschwinden. Dann holte sie Abschminktücher daraus hervor und säuberte sich sorgfältig das Gesicht. Nachdem sie die benutzten Tücher in einem orangefarbenen Mülleimer entsorgt hatte – der darauf abgedruckte Werbespruch „Sauber währt am längsten!“ entlockte ihr ein dünnes Lächeln -, wandte sie sich ab und ging weiter, als wäre nicht das Geringste geschehen. Als sich das rote Neonschild am Ende der Straße immer deutlicher aus dem Nachtdunkel abzeichnete, beschleunigte sie ihre Schritte und steuerte zielstrebig auf den Zeitungsladen zu. Nicht mehr lange und sie würde endlich Rache an all ihren Feinden nehmen und den verdammten Dienern des Lichts den einen verheerenden Schlag zufügen, von dem sie sich nicht mehr erholen würden - weder in Ravenstein noch in den anderen sechs Internaten.

Und Laura Leander – soviel stand fest – würde ihn mit Sicherheit nicht überleben!


Leseprobe aus „Laura und der Kuss des schwarzen Dämons“, Seite 7 - 18; Ó 2011 cbj-Verlag München

 

 

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